Festgottesdienst mit der vierten Kantate aus Bachs Weihnachtsoratorium
(Fotos: Wörner)(hr) (khm) Am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem traditionellen Tag für den Kantatengottesdienst in der Eberbacher Evangelischen Michaelskirche, war die vierte der sechs Kantaten zu hören, die Bach nach Texten der Evangelisten Lukas, Johannes und Matthäus komponiert hatte. Gleichzeitig markierte der Gottesdienst den musikalischen Abschied von Kirchenmusikdirektor (KMD) Achim Plagge
Bach hatte das Werk geschaffen als „Oratorium, welches Die heilige Weyhnacht über In beyden Haupt-Kirchen zu Leipzig musiciret wurde Anno 1734“. „Musiciret“ wurde das Werk hier von der Evangelischen Kantorei, dem Sängertrio Dieter Schweigel (Bass), Achim Plagge (Tenor) und Magdalena Plagge (Sopran), der Heidelberger Kurpfalzphilharmonie und dem aus seinem Eberbacher Amt scheidenden KMD Achim Plagge als Dirigenten. Sie erklang im Rahmen der Liturgie des (Festtags)gottesdienstes und damit eben nicht nur konzertant, sondern im Wortsinn von „Liturgie“ (leiturgía), was ein „fürs (Gemeinde)volk geleistetes“ (gr. lé-itos) „Werk“ (gr. ´érgon´) meint, einen Gottesdienst also, den Pfarrer Gero Albert und Dekan Ekkehard Leytz leiteten, der diese Kantate „Aufs Fest der Beschneidung Christi“, da auch „sein Name genennet ward“ zum Leitfaden seiner Predigt machte, indem die Kantaten-Aufführenden diese, die einst nur als „Ergänzung in Tönen zur Kanzelpredigt“ gedacht war, „direkt zu den Sinnen sprechen ließen“. Am „2. Heil. Weyhnachts-Feyertage Anno 1734“ in Leipzig war zwar die zweite der Kantaten „Und es waren Hirten in derselben Gegend“ musiziert worden, aber in einem Moment des Abschiednehmens und unter Berücksichtigung bereits früher von Plagge dirigierter Kantaten war die vierte mit ihrem Chorsatz, Rezitativen, zwei kunstvollen Arien und Choral / Kirchenlied gut gewählt, steht diese doch für sich selbst nach dem ersten Oratoriumsabschnitt „Ankunft des Erlösers“ mit den drei Kantaten zur Geburt Jesu (eigentliche Weihnachtsgeschichte) und vor dem dritten, dem „Herodes und den drei Weisen / Königen“ gewidmeten Abschnitt „Sieg des Erlösers“ (Kantaten 4 und 5). Sie bildet allein den zweiten Abschnitt des Oratoriums mit ihrem Thema „Beschneidung und Namengebung Christi)“. Auf den Jahresanfang war sie damals deshalb gelegt, weil nach jüdischer Sitte (Lk. 2,21) Beschneidung und Namengebung eines Neugeborenen acht Tage nach der Geburt erfolgten, was, auf unsere Zeitrechnung übertragen und ausgehend vom 24. Dezember, der 1. Januar war. Unser Jahresanfang wird – da zufällig an diesem Tag – in der Kantate auch gar nicht erwähnt. Die Kantate knüpft theologisch und glaubensmäßig bedeutsam an die „christliche Hoffnung auf Ende des Todesschreckens durch Jesus“ an, dessen Name diese Erwartung auch andeutet. Biblische Namen sind nämlich nicht zufällige Beigaben, sondern meist Botschaften. Das Tetragramm JHWH (Jahwe, Jehova) etwa bedeutet „Ich bin ´der ich bin´ „. Immanu-el heißt „Mit uns-Gott“. Jesus ist latinisiertes hebräisches Jeschua (oder Jehoschua): „Jahwe hilft“, sinngemäß „Gott rettet“, worauf das Evangelistenrezitativ auch verweist: „Und da acht Tage um waren, daß das Kind beschnitten würde, da ward sein Name genennet Jesus, welcher genennet war von dem Engel, ehe denn er im Mutterleibe empfangen ward“ (Lk. 2,21). Dieser hatte verkündet (Mt. 1,21): „Und sie wird einen Sohn gebären, des Namen sollst du JESUS heißen, denn Er wird Sein Volk retten“ – auch vor dem Todesschrecken.
Diese vierte eher lyrische Kantate zum Lobpreis von Jesu Namen in der Mitte der sechs Kantaten war weniger dramatisch gestaltet und daher auch zurückhaltender auszuführen als etwa die anderen. Bescheidener gab sich so schon der Einleitungschor in F-Dur „Fallt mit Danken, fallt mit Loben Vor des Höchsten Gnaden-Thron“ ohne allzu optimistisch helle D-Dur-Trompeten- und Paukenpracht. Hörner (statt Trompeten) erklangen weich, dunkel, sonor. Virtuos fugiertes Singen trat zurück hinter ruhig klingendem akkordisch homophonem. Die Ausführenden musizierten und sangen klangschön die Bachschen Figuren und Koloraturen etwa zu den Schlüsselwörtern “Heiland, Erlöser“. Der Dirigent zeigte ruhige Hand, konnte auf Effekte verzichten und leitete Chor und Orchester in einem vom “Schlurfen“ oder „Hasten“ genehm sich abhebenden Tempo und doch majestätisch bestimmt, was schon die mit Staccato betonten Wörter ´Loben´ und ´Danken´ bewirkten, wenn dies auch schon vorgegeben war durch Bachs (Parodie)vorlage, die Kantate von 1733 (BWV 213,1) „Hercules auf dem Scheidewege zwischen Tugend – Areté und Laster – Kakía“, das selbst sich „Glückseligkeit – Eudaimonía“ nannte, wo der betreffende Text lautete „Lasst uns sorgen, lasst uns wachen über unsern Göttersohn“. Hier gelang Bach trefflich die „Umtextung“ der früheren Melodie. Die bekannte Parabel dieser weltlichen Kantate zum Geburtstag eines sächsischen Prinzen stammt so nebenbei aus den ´Me- morabilien (Denkwürdigkeiten) an Sokrates´ (2,1, 21-34) des Platonschülers Xenophon (um 400 v. Chr.)
Die Kantatenmitte ist ein anspruchsvolles Rezitativ-Arien-Gebilde. In ihm geht, vom Orchester begleitet, ein reines Bassrezitativ und weiteres Bassrezitativ mit Sopran-Chorale (Kirchenlied) einer von Oboe und Sopranstimme ausgeführten Duett-Arie voraus. Sie wird nur vom Continuo (Cello, Fagott, Orgel) begleitet und ist wegen ihrer doppelten Echowirkungen bei Sopranstimme und Oboe als „Echo-Arie“ berühmt. Hier folgte im Eberbacher Gottesdienst die auf die Arie sich beziehende Predigt und darauf wieder das Rezitativ-Arioso von Bass und Sopran.
Dieser genannte Rahmen begann in rezitativischer Betrachtung (Dieter Schweigel, Bass) mit sechsfacher Jesus-Anrede (Anapher (Wiederholung)), setzte sich fort in kunstvoll kontrapunktischer Mischung und Dialogisierung von Bass-Rezitativ und Sopran-Arioso. In der Sopran-Oboen-Echo-Arie selbst, die mit der folgenden Tenor-Fugen-Arie zum musikalisch Schönsten überhaupt im Oratorium gezählt wird, verdeutlichte Magdalena Plagge anmutig den Text „Flößt … dein Namen … jene(n) …Schrecken ein? – Nein, du sagst ja selber nein. – Nein! (Echo) Oder sollt ich mich erfreuen? Ja, du Heiland sprichst selbst ja – Ja! (Echo). Die Echo-Erwiderung erfolgte zart abgestuft und unaufdringlich durch den auf der Kanzel postierten Chorsopran Annika Glasbrenner. Der klangvoll musizierende Oboist hatte schon in der Arieneinleitung in zurückhaltender Piano-Pianissimo-Differenzierung die Echowirkungen vorgestellt, um sie dialogisierend mit der Sopranistin im Arienverlauf eindrucksvoll fortzuführen und am Schluss ausklingen zu lassen. Und gerade wegen der bis zu neunmaligen Nein-Ja-Echo-Wiederholung, ist diese Arie früher als “weltlicher Ausrutscher“, auch als wunderliche barocke “Spielerei“ des sonst so “ernsten, gedankenvollen Meisters“ “ (Spitta, II, S. 417) verurteilt worden, die zwar zur Vorlage, der Echo-Arie des Hercules („Treues Echo dieser Orten“) aus Bachs weltlicher Hercules-Kantate (BWV 213, 5) passe, aber als theatralisch nicht in den religiösen Zusammenhang hier. Warum sollte aber die kunstvolle Arie – zumindest dem damaligen Zeitgeist nach – nicht zu einer Art Dialog der gläubigen Seele (Sopranstimme) mit dem kurz antwortenden Jesuskind (Echo-Sopranstimme) ernsthaft umgestaltet sein, ein Dialog, der eindrücklich den Todesschrecken verneint und die Erlösungsfreude bejaht.
Zu bewundern war auch die Fugenarie (d-moll), eigentlich ein den Tenor begleitendes Violin-Solo- Doppelkonzert. Zu Recht ist sie so benannt wegen der Verbindung von strenger Fuge in harmonischer Kontrapunktik mit an Koloraturen reicher Arie. Die Melodie hatte Bach auch der Hercules-Kantate entnommen, der Arie der Tugend (BWV 213, 7) “Auf meinen Flügeln sollst du (sc. Hercules) schweben … wie ein Adler“. In der Umtextung hier mit „Ich will nur dir zu Ehren leben“ traten der konturendeutliche Vortrag des vorpreschenden Fugenthemas und die klangsicheren Koloraturen der Ausführenden beeindruckend hervor. Die Arie wurde so zur prächtigen Vierer-Fuge der beiden virtuos konzertierenden Violinisten, der ebenso agierende Continuo-Gruppe (Cello, Fagott, Orgel) und nicht zuletzt des Tenors (und Dirigenten) Achim Plagge. Interessant war bei der Arie Bachs Tonart-Gebung (n. E.J. Häberle): d-moll für den selbstbewusst christliche Lebensregeln ausbreitenden Gesangstext. Sollte sich damit Selbstzweifel andeuten?
Die Kantate endete in zur Tenorarie parallelem F-Dur mit dem Choral, der Stimme des Kirchenvolkes
also, über das sechsfach anaphorische Erbitten von Jesu Beistand: „Jesu, richte mein Beginnen, Jesu, bleibe stets bei mir …“, einen Text, der bei allem Dur-Hoffnungsklang geradezu Skepsis an der möglichen Erfüllung dieser hochgesteckten Ziele aus der Tenorarie äußerte. Der kunstvoll angelegte Choral mit den sechs Bitten war klangschön ausgeführt in seiner von Bach wohl selbst geschaffenen Melodie. Die Bitten waren zu je zwei Paaren verteilt auf die dreiteilige Choralform mit ihren beiden Stollen und dem Abgesang. Die feingliedrig musizierten orchestralen Zwischenspiele samt Vorspiel und Nachspiel, die weich klingenden Partien der Hörner taten ein Übriges zum Gefallen..
Mit dieser Kantaten-Aufführung nahm KMD Achim Plagge nach einem gefeierten Konzert in der überfüllen Michaelskirche am ersten Adventssonntag des Jahres mit John Rutters „Magnificat“ und „Mass of the Children“ nun auch ´liturgisch´ Abschied von seiner seit April 1999 mehr als zwanzigjährigen Eberbacher Zeit, um zukünftig in Heidelberg als Landeskantor für Chorsingen in der Badischen Landeskirche und für kirchenmusikalische Aus- und Fortbildung tätig zu sein. Plagge hatte sich mit Erarbeitung und gefeierten Aufführungen großer Oratorien- und A-cappella-Werke von Bach, Bruch, Beethoven, Bruckner, Händel, Mendelssohn, Orff, Rutter würdig in die Reihe der Eberbacher Kantoren seit 1941 wie Eberhard Heidegger, Ernst Ulrich von Kameke, Horst Hempel, Gerhard D. Wagner, Günter Schott und Johannes Michel eingereiht. Er wird zudem durch seine Förderung von jugendlichen Sängern und Sängerinnen in besonderer Erinnerung bleiben, wie schon das alljährlich begeistert aufgenommene „Adventsliedersingen“ am dritten Advent mit den Jugendchören und die feierlich humorvolle Verabschiedung im Evangelischen Gemeindehaus nach diesem ebenfalls begeisternden Kantatengottesdienst es aufgezeigt haben dürften. Die Erfüllung also des nachstehenden Hexámeters „Pérmultós vivát crescátque et flóreat ánnos“ sei Achim Plagge herzlich gewünscht.
27.12.19 |
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